Multiple Sklerose ist die häufigste neurologische Erkrankung bei jungen Erwachsenen. Menschen mit Multipler Sklerose können eine Vielzahl von Symptomen aufweisen, z. B. Müdigkeit, sensorische, kognitive und sexuelle Funktionsstörungen, aber auch Muskelschwäche und Koordinationsprobleme.
Virtuelle Realität wurde als neues Rehabilitationsinstrument vorgeschlagen und wird zunehmend in der Rehabilitation von neurologischen Patient:innen eingesetzt. Interventionen in der virtuellen Realität ermöglichen es dem Benutzenden mit Hilfe von Computerprogrammen, in einer virtuellen Umgebung zu navigieren und mit ihr zu interagieren. Der Einsatz der virtuellen Realität in der Rehabilitation bietet mehrere Vorteile. Dazu gehört die Bereitstellung vollständig kontrollierbarer, personalisierter Umgebungen und Situationen, die im wirklichen Leben zu gefährlich, zu teuer oder unmöglich sind. Außerdem kann der Schwierigkeitsgrad und die Intensität an die Fähigkeiten der Patient:innen angepasst werden, und die virtuelle Realität kann die Motivation der Patient:innen steigern, indem sie spannendere Trainingsumgebungen schafft und Feedback gibt.
Mit diesem Review wollten wir die Wirksamkeit von Interventionen in der virtuellen Realität für die Rehabilitation von Menschen mit Multipler Sklerose bewerten. Wir wollten herausfinden, ob das Training in virtueller Realität zu einer stärkeren Verbesserung der Funktion der unteren Gliedmaßen und des Gangs, des Gleichgewichts und der Haltungskontrolle, der Funktion der oberen Gliedmaßen, der Kognition, der Müdigkeit, der globalen motorischen Funktion, der Aktivitätseinschränkungen, der Teilhabe und der Lebensqualität sowie des Auftretens unerwünschter (schädlicher oder unerwünschter) Effekte führt. Wir verglichen das Training in virtueller Realität mit 1) keiner Intervention und 2) einer konventioneller Therapie oder einer alternativen Therapie.
Wir haben 33 Studien mit insgesamt 1294 Menschen mit Multipler Sklerose identifiziert, die im Durchschnitt (basierend auf 22 Studien) eine erhebliche Behinderung hatten, aber in der Lage waren, 500 Meter ohne Hilfsmittel zu gehen. Es wurden viele verschiedene Geräte und Programme in der virtuellen Realität eingesetzt. Fast 91 % (30) der eingeschlossenen Studien verwendeten nicht‐immersive virtuelle Realitäts‐Systeme (z. B. Fernsehbildschirme), zwei Studien verwendeten halb‐immersive virtuelle Realitäts‐Geräte (z. B. Großbildschirme) und eine Studie verwendete ein voll‐immersives kopfgetragenes Monitorsystem. Die meisten Interventionen in virtueller Realität zielten darauf ab, die Gleichgewichts‐ und Gangfunktion zu verbessern.
Zehn Studien untersuchten, ob virtuelle Realität zur Verbesserung der Gang‐ und Gleichgewichtsfunktion eingesetzt werden kann. Der Einsatz von virtueller Realität führt bei den meisten Endpunkten im Vergleich zu keiner Intervention möglicherweise zu einer besseren Funktion. Wir sind uns bezüglich dieser Ergebnisse aber sehr unsicher. Im Vergleich zur konventionellen Therapie sind die Fortschritte bei der Funktion der unteren Gliedmaßen und des Gangs bei den Interventionen in der virtuellen Realität wahrscheinlich nicht größer. Allerdings ist die virtuelle Realität bei der Verbesserung des Gleichgewichts und der Haltungskontrolle wahrscheinlich einer konventionellen Therapie überlegen. Zwei Studien stellten fest, dass die virtuelle Realität möglicherweise zu einer stärkeren Verbesserung der Funktion der oberen Gliedmaßen führt als keine Intervention. Virtuelle Realität verbessert möglicherweise die Funktion der oberen Gliedmaßen stärker als eine konventionelle Therapie. Studien, in denen die Teilhabe und die Lebensqualität bewertet wurden, deuten möglicherweise auf positive Wirkungen zugunsten der virtuellen Realität hin, sowohl im Vergleich zu keiner Intervention als auch zu einer konventionellen Therapie. Wir sind uns bezüglich dieser Ergebnisse aber sehr unsicher. Die Wirkungen der Interventionen in der virtuellen Realität auf die globale motorische Funktion und unerwünschte Ereignisse konnten wir nicht bewerten.
Insgesamt haben wir moderates bis niedriges oder sehr niedriges Vertrauen in die Evidenz. Dies lag vor allem an der geringen Anzahl der Teilnehmenden in den eingeschlossenen Studien und an der schlechten Studienqualität. Außerdem ist die Evidenz aufgrund der Art der eingeschlossenen Studien hauptsächlich auf Menschen mit einem relativ geringen Grad an körperlicher Behinderung und auf eine virtuelle Realitäts‐Technologie beschränkt, die einen begrenzten Grad an Immersion bietet. Darüber hinaus unterschieden sich die in den Studien verwendeten Methoden, z. B. in Bezug auf die Art der gemessenen Endpunkte und die Gestaltung der Interventionen.
Die Evidenz ist auf dem Stand von August 2022.
Verwendung mit freundlicher Genehmigung des Deutschen Cochrane Zentrums. Zum Einstellen in die EBP-Datenbank musste der DVE kleinere redaktionelle Änderungen vornehmen.
Eine Ergotherapeutin war im Rahmen des Peer Reviews an diesem Cochrane Review beteiligt. Von welchen Berufsgruppen die VR-Interventionen durchgeführt wurden, wird nicht explizit benannt. In zwei eingeschlossenen Studien diente konventionelle Ergotherapie bzw. die Standard-Rehabilitation mit Ergotherapie ohne VR als Kontrollgruppe. Zwei weitere Ergotherapie-Studien wurden von der Auswertung ausgeschlossen.
Dieser Cochrane Review gibt den Stand der Evidenz zum Zeitpunkt der Recherche wieder. Der Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse kann sich in der Zwischenzeit verändert haben. Evtl. ist auch schon eine aktualisierte Fassung des Reviews mit anderen Schlussfolgerungen erschienen, zu der jedoch noch keine Zusammenfassung durch den DVE oder eine deutschsprachige PLS-Übersetzung vorliegt. Dies können Sie überprüfen, indem Sie dem Quellen-Link folgen (Zugriff am 20.02.2025).
Erklärungen der EBP-Fachbegriffe finden Sie im Glossar.
Keyword 1: Multiple Sklerose
Keyword 2: Rehabilitation
Keyword 3: Virtuelle Realität (VR)
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