2012  |  SR/MA  |  EBP-ID: 21855

Effektivität und Effizienz von psychologischen, psychiatrischen, sozialmedizinischen und komplementärmedizinischen Interventionen bei Schreibabys (z.B. regulative Störung) in Schreiambulanzen

Korczak D, Kister C, Krause-Girth C. Effektivität und Effizienz von psychologischen, psychiatrischen, sozialmedizinischen und komplementärmedizinischen Interventionen bei Schreibabys (z.B. regulative Störung) in Schreiambulanzen. Schriftenreihe Health Technology Assessment (HTA) 2012; 124: 1-82.

Abstract

Hintergrund

Exzessives Schreien gehört zu den Regulationsstörungen im Säuglings- und Kleinkindalter (null bis drei Jahre). Dabei kann unterschieden werden zwischen dem meist passageren Schreien der ersten drei Monate (Drei-Monats-Kolik) und den darüberhinaus anhaltenden Regulationsstörungen. Langfristige negative Auswirkungen für Kinder und Eltern sollen durch eine frühzeitige präventive Identifizierung von überlasteten Familien und durch ein adäquates Hilfsangebot verhindert werden. Hierfür wird eine funktionierende Zusammenarbeit von Kinderärzten, Kliniken, Beratungsstellen, Jugendhilfe und gemeindenahen Interventionsformen, insbesondere im Bereich „Früher Hilfen“, als erforderlich erachtet. Fragestellungen: Der Bericht befasst sich mit der Effektivität verschiedener (psychologischer, psychiatrischer, sozial-, komplementärmedizinischer) Interventionsformen zur Reduktion des exzessiven Schreiens. Es wird auch die Frage geklärt, inwieweit die Interventionen in Schreiambulanzen effektiv sind und ob insgesamt die Versorgung von Schreikindern und ihren Eltern gewährleistet ist. Ökonomisch wird der Frage nachgegangen, welche Kosten durch einzelne Interventionen entstehen bzw. welche Kosteneinsparungen erzielt werden.

Methodik

Es ist eine systematische elektronische Datenbankrecherche in 32 Datenbanken mit z. B. folgenden Suchbegriffen exzessives Schreien, Schreibaby, frühkindliche Regulationsstörung durchgeführt worden.

Ergebnisse

Es sind insgesamt 18 medizinische, eine ökonomische und drei ethische Studien berücksichtigt worden. Die Mehrzahl der Studien stammt aus den USA (fünf) und UK (fünf). Eine Studie ist aus Deutschland. Vier Studien befassen sich mit oralen Interventionen und zeigen, dass sowohl eine phytotherapeutische Mischung aus Fenchel, Kamille und Melisse, eine Fenchelsamenemulsion, hydrolisierte Kost sowie ein Verzicht auf Kuhmilchprodukte das Schreien der Kinder signifikant reduzieren. Zur Wirksamkeit chiropraktischer Interventionen liegen widersprüchliche Ergebnisse vor. Zwei Studien aus Schweden weisen die Wirksamkeit von minimaler Akupunktur nach. Neun psychotherapeutische bzw. auf das Verhalten bezogene therapeutische Studien weisen darauf hin, dass Entwicklungsberatung, psychotherapeutische Gespräche und Kommunikationsanleitungen zur Reduktion des exzessiven Schreiens und zur Stabilisierung der Eltern beitragen. Diese therapeutischen Interventionen erweisen sich dann als effektiv, wenn die Eltern eine persönliche Beratung oder Unterstützung erhalten.

Diskussion

Insgesamt weisen 14 Studien einen hohen Evidenzlevel (1A bis 2B) auf. Die Wirksamkeit von Schreiambulanzen kann nicht zuverlässig bejaht werden, da Schreiambulanzen nur in einem einzigen systematischen Review behandelt werden. Eine englische Studie zur Kosteneffektivität frühzeitiger Interventionen hat große methodische Mängel und ist nicht auf Deutschland übertragbar. Schlussfolgerung: Die Forschungslage zur Effektivität der Behandlung und Versorgung von Schreibabys weist erhebliche Lücken auf. Aber es gibt hinreichende Evidenz für die Wirksamkeit von gezielten oralen Interventionen mit Fenchel(samen), hydrolisierter Kost oder minimaler Akkupunktur zur Behandlung von Drei-Monats-Koliken. Auf das Verhalten bezogene therapeutische Interventionen im stationären Setting, dem häuslichen Umfeld und bei ambulanter Betreuung reduzieren exzessives Schreien ebenfalls effektiv. Es liegen nicht genügend belastbare Daten und/oder Studien zur Wirksamkeit von Schreiambulanzen und der Kosten-Nutzen-Effektivität der Behandlung von Schreibabys und/oder ihren Eltern vor. Es lässt sich festhalten, dass die Versorgung und der Zugang zur Versorgung von Schreikindern und ihren Eltern in Deutschland nicht entsprechend dem geschätzten Bedarf gewährleistet sind. Zur Verbesserung der Versorgungslage von Kindern und Eltern ist ein qualitativer Ausbau sowohl der Aus- und Weiterbildung von Fachkräften als auch von niedrigschwelligen Strukturen erforderlich.

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Hinweis zu den Fachbegriffen

Erklärungen der EBP-Fachbegriffe finden Sie im Glossar.

Keywords

Keyword 1: Kinder

Keyword 2: Schreibabys

Keyword 3: unterschiedliche Interventionen

Weitere: Babies, Beratung/Coaching, Elternberatung/Elternarbeit, Health Technology Assessment (HTA), Kinder, Kinder und Jugendliche, Kosteneffektivität, Regulationsstörung, Schreiambulanzen, Schreibabys, Sensorische Integrationstherapie, systematischer Review, Umwelt- und verhaltensbezogene Interventionen, verhaltensbezogene Interventionen, Verhaltensprobleme

Filter

Diagnose(n)/Symptomatik

Psychische/psychosomatische Erkrankungen, Verhaltensstörungen
  • Verhaltensauffälligkeiten, Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen, Sucht (z.B. Essstörungen, ADHS)
Sonstige
  • Frühgeborene, Neugeborene mit (potenziellen) Schädigungen
  • Entwicklungsverzögerung/-störung (inkl. Teilleistungsstörungen, Autismus)
  • Geistige Behinderung, Intelligenzminderung
  • Angeborene Fehlbildungen, Chromosomenanomalien, Körper- und Mehrfachbehinderung

Altersgruppe(n)

  • Kinder und Jugendliche
  • Erwachsene

Zielgruppe(n)

  • Patient:innen/Klient:innen
  • Angehörige

Interventionen

Umweltanpassung, Kompensation, Adaptation
  • Hilfsmittelanpassung, -versorgung, -beratung, -training (inkl. Schienen, Orthesen)
  • Umweltanpassung (z.B. von Wohnraum, Schule, Arbeitsplatz, Universal Design)
Beratung, Edukation, Schulung
  • Beratung, Schulung, Coaching, (Psycho-)Edukation
  • Verhaltenstherapeutische/-bezogene Interventionen
Spezifische Aktivitäten (Training von Betätigungsfertigkeiten, Restitution)
  • Sonstige (z.B. Aktivitätsgruppen, Virtuelle Realität, digitale Angebote)
Sonstige Interventionen
  • Prävention/Gesundheitsförderung, Risiko-Assessment und -kontrolle
  • Psychosoziale Therapien
  • Familientherapie
  • Leistungserbringung (z.B. ambulant vs. stationär, mono- oder multidisziplinär, Case Management, Klientenzentrierung, Betätigungsorientierung, Teletherapie/Telehealth)
  • Andere Therapien (z.B. Aroma-, Licht-, Musiktherapie, Therapie mit Tieren, NLP, profilax)

Berufsgruppe(n)

  • Ergotherapie beteiligt